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<-- back >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> >> Vor dem Kino, ab 18:00, findet neben dem Kino, im Monbijoupark, ein Fest >> >> der Zeitschrift Starship statt, zu dessen Besuch wir ebenfalls einladen. >> >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> -------------------------------------------------------------------------------- In girum imus nocte et consumimur igni Guy Debord, FR 1978 95 Minuten, 968937536 Bytes französisch mit englischen Untertiteln Vorfilm (21:00 Uhr bis 21:30 Uhr) Le film est déjà téléchargé? Robert Luxemburg, DE 2005 30 Minuten, 63573986 Bytes Sonntag, 29. Mai 2005, 21:00 Uhr Pirate Cinema Berlin, Ziegelstrasse 20 S Oranienburger Strasse, U Oranienburger Tor free entry, cheap drinks, bring two blank CDs -------------------------------------------------------------------------------- Für die, die keine langen Texte lesen: "In girum imus nocte et consumimur igni" ist der letzte und vielleicht interessanteste Film von Guy Debord, für dessen Filme, selbst wenn es sich um die ersten und eher uninteressantesten handelt, Leute, die lange Texte lesen, lange Schlange zu stehen bereit sind, was auch für Sie Grund genug sein sollte, sich den kommenden Sonntagabend nach Möglichkeit freizuhalten. -------------------------------------------------------------------------------- Mit Guy Debord ist es so eine Sache. Einerseits taugt er natürlich - eher als Jean-Luc Godard, der das Kino nicht aufgehoben, oder Jon Lech Johansen, der das Kino nicht verwirklicht hat - zur Gallionsfigur eines Pirate Cinema, da er nicht nur einer tatsächlichen Überwindung des Kinos am nächsten gekommen ist, sondern zudem mit der "Gesellschaft des Spektakels" jenes Theorie-Werk hinterlassen hat, das für das Programm eines solchen Pirate Cinema - das Kino nämlich nicht als einen Kanon von Bildern zu betrachten, sondern als ein durch Bilder (durch die Art ihrer Produktion, die Formen des Eigentums an ihnen sowie die Macht und das Recht, sie zirkulieren zu lassen) vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis - bis heute am wichtigsten ist. Unter den bleibenden Figuren des 20. Jahrhunderts gibt es wenige, die mehr als nur eine Idee hatten oder auf mehr als nur einem Feld einen Meilenstein gesetzt und die Spielregeln geändert haben - und Debord gehört sicher (ansonsten fällt einem auf die Schnelle eigentlich nur Warhol ein) dazu. Andererseits gibt es in der Geschichte der Avantgarden des 20. Jahrhunderts kaum eine andere Gestalt, die sich so sehr wie Debord gegen ihre Vereinnahmung sperrt. In den Achtzigern weitgehend vergessen und in den Neunzigern an verschiedenen Orten wieder ausgegraben scheint Debord in den Nullern (wir schliessen das aus dem stetigen Strom an Studenten und Kuratoren, die auf der Suche nach Debords Filmen mit Leer-CDs bei uns vorstellig werden) jetzt auch in diversen Institutionen zitierfähig zu werden. Nur haben Debord-Zitate - mehr noch als Verweise auf Karl Kraus oder Adorno - das Vermögen, die sie umgebenden Seminararbeiten oder Förderanträge (falls irgendwer die läse) statt zu adeln in einem einzigen Satz komplett zum Einsturz zu bringen. Und auch für eine direkte Fortschreibung in den illegalen Wissenschaften ist Debords Werk kaum mehr geeignet, seit in dem Reich, in dem die Sonne der Marktwirtschaft nie untergeht, die Beseitigung der gesellschaftlichen Ordnung nicht mehr zu den Vorhaben gehört, über die auch nur irgendwo noch eine verbindliche Verständigung betrieben würde. (Was ja, by the way, der eigentliche Grund dafür ist, dass gegenwärtig so viele Leute bei der Betrachtung ihrer eigenen Biografie Panik befällt.) Dass sich Debord mehr noch als seiner Vereinnahmung jeder Kritik entziehe, ist der Hauptvorwurf eben jener Kritik. In den überschaubaren Kreisen der Linken, die von ihm wissen, die für den Witz, in dem sein Rigorismus wurzelt, aber meist so unempfänglich sind, dass ihre eigene Überschätzung von Debord dessen vielzitierte Selbstüberschätzung noch bei weitem übertrifft, wird "debordmässig" oft als Synonym für "stalinistisch" verwendet - teils wegen der von Debord forcierten Selbstauflösung der Situationistischen Internationalen (in der komischerweise sogar Roberto Ohrt die "Vernichtungswünsche" eines "Terrorismus des Ausschlusses" am Werk sieht, wenngleich er dabei bloss an Saint-Just und nicht gleich an Gulag denkt und eingesteht, dass die Opfer der S.I. statt umgebracht nur "öffentlich gekennzeichnet und gedemütigt" wurden), teils wegen der schonungslosen Kritik, mit der Debord stets vor allem seine jeweils nächstweniger radikalen Nachbarschaften bedacht hat, hauptsächlich aber aus Mangel an Vorstellung davon, dass die Triebfeder der Negation irgendetwas anderes sein könnte als bloss die Debord gern unterstellte perverse Lust am Untergang. Etwas weniger durchgeknallt wäre der Vorwurf, die Position, auf die Debord sich nach der Auflösung der S.I. zurückgezogen habe - die seiner eigenen Aussage nach zahlreichen Angebote, sich neuen revolutionären Gruppen anzuschliessen, hat er stets ausgeschlagen - sei das Grand Hotel Abgrund gewesen, dessen Vormieter ja auch von Leuten, die hauptsächlich "was tun" wollten, beschuldigt wurde, nach den Minima Moralia könne man keine Manifeste mehr schreiben. Etwas weniger durchgeknallt aber nur, weil, und das ist etwas ganz anderes, im Bild des Grand Hotel Abgrund tatsächlich für einen Moment eine - für dessen Erfinder, George Lukács, 1933 natürlich nicht vorhersehbare - Spiegelung jener Szene von 1952 aufblitzt, die ganz am Beginn der Vorgeschichte der S.I. (und im Zentrum von "In girum imus nocte et consumimur igni", dem Film, zu dem wir gleich kommen) steht und in der die Ausgangsbedingugen der Negation sichtbar werden: die Kneipe "Chez Moineau" in der Rue du Four, Hangout der ersten Punks seit 1918, "Trinkhalle am Abgrund" statt bloss, wie zwei Blocks nördlich, wo Sartre hockte, "Café am Graben". Nachdem die vor allem der Publikumsverspottung gewidmeten ersten zwanzig Minuten von "In girum imus nocte et consumimur igni" nämlich vorüber sind ("Der Einzelhandel lacht euch aus, in eure Besitztümer ist der Verschleiss schon eingebaut, und an den paar Sachen, die noch funktionieren, haltet ihr nicht mal die Rechte..."), nimmt Debord eine überraschende Abzweigung: "Schluss mit dem Kino, jetzt kommen wir mal zu dem einzigen Thema, das wirklich von Interesse ist, nämlich zu mir selbst... Hier sehen Sie beispielsweise die Kneipe, in der wir jeden Abend mehr Gläser geleert haben, als eine Gewerkschaft während eines gesamten wilden Streiks an Lügen zu verbreiten in der Lage ist..." Später im Film wird das "Chez Moineau" zum legendären Ritterschloss, dessen Bewohner einen flüchtigen Schimmer des Heiligen Grals erhascht hatten und von diesem Moment an augestattet waren "mit einer seltenen Kraft der Verführung, die jeden, der uns begegnete, sich uns anschliessen machte" (Debord) und das "von seinen Gästen keine Legitimation, nur die des geistigen Niveaus" (Lukács über das Grand Hotel Abgrund) verlangte - wenngleich, wie Debord beklagt, ausgerechnet das talentierteste Mitglied der Runde, Prinz Eisenherz (gemeint ist Ivan Chtcheglov, Vorreiter der Psychogeografie), seine Jugend zu gründlich verschwendete und "in den Wäldern des Wahnsinns verlorenging". (Es wird berichtet, Chtcheglov sei 1954 auf der Vorstellung hängengeblieben, die Lettristen würden vom Dalai Lama ferngesteuert.) Vom Schwenk zum "Chez Moineau" über die Luftbilder von Paris bis hin zu den letzten Kamerafahrten durch Venedig lässt Debord keinen Zweifel mehr daran, dass das früheste Bild, die innerste Keimzelle seines Versuchs, das Regieren zu stürzen, keine abstrakte historische Erbschaft oder theoretische Erkenntnis gewesen ist, sondern ein an urbaner Empirie geschultes Dandytum, konkrete Leute und Strassen, Anfang der 50er sogar ein ganzes Viertel, dessen Bewohnern die Produktion des eigenen Glücks noch nicht aus der Hand genommen war und die mit schlechten Supermärkten, miesen Kinos und endlosem Berufsverkehr zu vertreiben noch fast zwanzig Jahre dauern sollte. Einen derart schwelgerischen und zugleich so völlig illusionslosen Film über die Zerstörung der europäischen Städte im 20. Jahrhundert kann man lange suchen, und wenn Debord ganz am Ende die Verheerungen des Krieges, den die Stadtplanung gegen das selbstbestimmte Leben der Leute führt, statt zu beklagen als notwendiges Ergebnis der Konfrontation begrüsst (wo alles dermassen Scheisse aussieht, da wächst das Rettende auch) und zum Beleg für seine These, dass im Grauen der Gegenwartsarchitektur von 1978 der gesamte Glamour von 1952, in sein genaues Gegenteil verkehrt, enthalten sei, das Centre Pompidou zeigt, von dessen Dach aus zum letzten Mal das Quartier Latin zu sehen ist, dann ist das eine der erhabensten Perspektiven der späten Psychogeografie und zugleich eine der am negativsten dialektischen Posen aus 100 Jahren urbaner Subkultur. Wozu wir also, indem wir zur Vorführung dieses Filmes einladen, einladen, ist vor allem, Debord weniger als Gralshüter einer antispektakulären Orthodoxie zu verehren, hinter die es kein Zurück und über die es kein Hinaus mehr gäbe, sondern eher als einen der wenigen Outlaws des 20. Jahrhunderts, dem es mit seiner nachts am Tresen selbsterfundenen Revolte, von deren zunächst ziemlich imaginärer (erstmal nur im künstlerischen Sinne avantgardistischer) vorderster Front aus er fortan argumentiert hat, gelungen ist, eine tatsächliche Regierungskrise vorwegzunehmen, anzufachen, zuzuspitzen und begrifflich auf den Punkt zu bringen, die bis heute andauert, und der von seiner angemassten Sprechposition aus eine Rede geführt hat, auf die nicht nur die grossen Alkoholiker oder Punks, sondern auch die in einem traditionelleren, offizielleren oder ernsthafteren Sinne "politischen" Internationalen des 21. Jahrhunderts werden zurückkommen müssen. Und weil "In girum imus nocte et consumimur igni", bei allem Pathos, von so viel untergründigem Witz durchzogen ist, schlagen wir als künftigen deutschen Verleihtitel, statt des übertrieben melodramatischen "Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt" (so der Titel der 1985 von Klaus Bittermann herausgegeben deutschen Übersetzung des Filmskripts), vor: "Ein Dandy mit Gazelle zagt nachts im Feuer nie". -------------------------------------------------------------------------------- () >< pirate cinema berlin www.piratecinema.org -------------------------------------------------------------------------------- Im Juni gibt es voraussichtlich Isidore Isou, Philippe Garrel, Jacques Derrida, Jack Smith und andere, sowie für den sich schon abzeichnenden Fall, dass dessen Rechteinhaber das selbst einfach nicht hinbekommen, gern auch nochmal Sin City. -------------------------------------------------------------------------------- <-- back |