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<-- back Sunday, July 15, 7 pm Pirate Cinema Berlin Tucholskystr 6, 2nd fl Large Screen Histoire(s) du cinéma Jean Luc Godard 1988-1998, 264 min, 3.1 GB French with English subtitles 19:30 1a Toutes les histoires 20:20 1b Une histoire seule 21:00 2a Seul le cinéma 21:30 2b Fatale beauté 22:00 3a La monnaie de l'absolu 22:30 3b Une vague nouvelle 23:00 4a Le contrôle de l'univers 23:30 4b Les signes parmi nous Small Screen A Journey with Martin Scorsese Through American Movies 1995, 225 min, 2.0 GB English 19:45 Part 1 21:00 Part 2 22:15 Part 3 Free entry Cheap drinks Copies to go -------------------------------------------------------------------------------- Gemeinsam gegen die Mafia (Drei Jahre Pirate Cinema) GEGEN DIE MAFIA. Eigentlich ist es ganz einfach, doch da "Mafia" so häufig bloss metaphorisch verwendet wird, merkt vermutlich niemand, wenn "Mafia" mal wörtlich gemeint ist, wie hier. Da einen sonst niemand ernst nimmt, muss man mit Godard - den auch niemand ernst nimmt - beginnen. Der macht in den Histoire(s) du cinéma, im Teil "Fatale beauté", die Bemerkung, das Drehbuch sei, nachdem das Kino lange Zeit gut ohne ausgekommen war, von einem unbedeutenden Mafia-Buchhalter erfunden worden, um in den Köpfen der Regisseure für die nötige Ordnung zu sorgen. Godard erklärt das in einem Interview genauer: "Was die Erfindung des Drehbuchs angeht, ich behaupte, das war ein Mafia-Buchhalter, das ist zwar nur eine Intuition, ich denke aber, dass es sich beweisen liesse. Schliesslich geht es bei der Erfindung des Drehbuchs darum, etwas unter Kontrolle zu bringen, daher ist es vorstellbar, das sich das so zugetragen hat - vielleicht nicht ganz genau so, aber doch so in der Art. Zumal wir wissen, dass die Mafia gerade in dem Moment, in dem Hollywood entstanden ist, von New York nach Los Angeles gezogen ist." Womit wir es also zu tun haben, ist keine metaphorische, sondern eine ganz konkrete Mafia, und was zu zeigen wäre, wäre nicht nur, wann einer ihrer Angestellten das Drehbuch erfunden hat und warum (warum ist einfacher zu beantworten: weil sich mehr Geld verdienen lässt, wenn man den Verlauf einer Filmhandlung und die Verteilung von Rollen von Verhandlungen und Verträgen abhängig macht statt von den Launen eines Regisseurs - wie zum Beispiel denen von Herrn Lynch, der der einzige Mainstreamregisseur in den USA sein dürfte, der das Interesse, das die Mafia am Drehbuch hat, nicht nur in Interviews erläutert, was Herr Scorsese vielleicht besser könnte, sondern als Bild in seinen Filmen vorkommen lässt), sondern ebenfalls, von welchem Moment an und zu welchem Zweck das mittlere Management der Mafia damit angefangen hat, die mit der Gestaltung des Urheberrechts befassten politischen Beamten zu bestechen, oder wie, was wieder einfacher wäre und auch weniger lange zurückliegt, die Idee aufkam, von den Herstellern von Videorekordern Schutzgelder einzutreiben. Nichts davon lässt sich hier in ein paar Zeilen bewerkstelligen; der Gedanke jedoch, um den es hier ginge, liesse sich festhalten: dass Mafia nicht notwendigerweise nur irgendeine Bande irgendwelcher Verbrecher meinen könnte, sondern eine bestimmte, von bestimmten historischen Bedingungen abhängige Form der Organisation. Niemand würde zum Beispiel widersprechen, wenn man feststellen würde, dass Bollywood von der Bombay-Mafia finanziert wird - erscheint doch beinahe jeden Tag irgendwo ein Zeitungsartikel, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt - und dass die Macht dieser Bombay-Mafia, die Produktion von bestimmten Filmen zu begünstigen und die Produktion von bestimmten anderen Filmen zu erschweren, sich mittlerweile leicht an den indischen Box-Office-Charts ablesen lässt. Sobald man aber der Gütersloh- Mafia, also Bertelsmann, ähnliche Einflussnahme vorwirft, möchte einem plötzlich niemand mehr folgen, das sei reine Polemik, man vergleiche da Äpfel mit Birnen - obwohl die doch einen gemeinsamen Oberbegriff haben, nämlich: Obst, oder, Bombay und Gütersloh: Mafia, ohne dass Mafia zwangsläufig bedeuten würde, eine jede sei in jedem Moment am gleichen Punkt derselben Entwicklung. Natürlich verdienen die Damen und Herren von Bertelsmann (oder von Sony oder Time Warner) ihr Geld nicht mit Drogenhandel oder Prostitution, und genauso wenig ist die Bombay-Mafia damit beschäftigt, öffentliche Universitäten und Bibliotheken aufzukaufen. Dennoch ist es interessant, oder wäre es interessant, denn der Platz wird nicht reichen, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die zwischen diesen beiden recht verschiedenen Vereinigungen vermeintlicher Freunde des Films bestehen. Beginnen könnte man zum Beispiel mit einer Beschreibung, auf welche Art und Weise private Organisationen ohne jede Legitimation vormals staatliche Hoheitsaufgaben übernehmen, zu welchen Konflikten es dabei kommt, mit welchen Mitteln diese Konflikte sich lösen lassen und mit welchen Mitteln nicht. Irgendwann würde man vermutlich feststellen, auch das ist mehr so eine Intuition, dass einem Mafias in frühen Entwicklungsstadien, beispielsweise lokal operierende Drogen-Mafias, grundsätzlich sympathischer sind als Mafias in späten Entwicklungsstadien, also global agierende Business-Mafias, und das ist vermutlich genau dieselbe Intuition, die Scorsese manchmal überfällt - immer dann, wenn er sagt, er könne ab sofort keine Hollywoodfilme mehr machen. Vor genau zwei Jahren (http://piratecinema.org/screenings/20050717), als wir uns das genau umgekehrte Geburtstags-Programm ausgedacht hatten, nämlich Scorsese in gross und Godard in klein, bestand das Argument darin, einer bestimmten, nämlich amerikanischen Sorte von Pragmatik - also Scorsese, wenn er doch noch einen Film in Hollywood hinbekommt - gegenüber einer bestimmten, nämlich europäischen Sorte von Ressentiment - also Godard, wenn er mehr schlechte indische Filme einfordert - den Vorzug zu geben. Was allerdings, auch das war damals schon zu lesen, bloss ein vorgeschobenes Argument war - denn tatsächlich war diese Anordnung der Filme allein der Tatsache geschuldet, dass die Mafia, in diesem Fall Gaumont, noch vor zwei Jahren eine digitale Version der Histoire(s), die mehr als ungefähr 320 mal 240 Pixel Auflösung gehabt hätte, lieber unter Verschluss gehalten hat als sie - was doch im Grunde Gegenstand ihrer geschäftlichen Tätigkeit sein sollte - unter die Leute zu bringen. (Dass die Mafia nicht immer einer betriebswirtschaftlichen Logik folgt, dass es ihr häufig an erster Stelle ums Prinzip und erst an zweiter Stelle um Profitmaximierung geht, würde die vergleichende Mafiawissenschaft, die wir vorschlagen, ziemlich schnell herausfinden.) Mittlerweile aber, zum ziemlich genau zwanzigjährigen Jubiläum ihres Beginns und zum ungefähr zehnjährigen ihrer Fertigstellung, sind die Histoire(s) dann doch auf den Markt, sowie natürlich am Markt vorbei ins Internet, gekommen, und man kann mit eigenen Augen sehen, warum die Film-Mafia es in diesem Fall nicht besonders eilig hatte. (Da es, nicht etwa bloss an der eingangs erwähnten Stelle, um die Geschichte(n) der Film-Mafia geht und nicht um die der Verlags- oder Musik-Mafia, waren die Histoire(s) lange Zeit einer der seltenen Filme, die als Buch und als CD, nicht aber als DVD erhältlich waren.) Nun heisst "Gegen die Mafia" aber gewiss nicht, dass wir uns bloss einen reibungsloseren, weniger stark von der Irrationalität mafiösen Geschäftsgebarens geprägten und mehr an den Wünschen der Kunden orientierten Ablauf der Produktion und Distribution von Kulturwaren wünschten. Sondern vielmehr, dass wir eine ganz spezielle Sorte von Dummheit, die sich immer dann ausbreitet, wenn die Mafia die Macht in einem bestimmten Gesellschaftsbereich übernimmt, und die für jedes noch so absurde Phänomen, das mit einer solchen Machtübernahme unweigerlich verbunden ist, eine rationale und natürliche Erklärung sucht, nur relativ schwer ertragen. (Die seit ungefähr einer Woche von zahllosen Experten betriebene Exegese dessen, was der Deutsche Bundestag als "Urheberrechtsnovelle" beschlossen hat, wäre, das bei nächster Gelegenheit einmal genauer aufzuschreiben, könnte interessant sein, ein gutes Beispiel.) Noch weit schlimmer als die Machtübernahme durch die Mafia, das kann man ziemlich genau in den Filmen von Scorsese sehen, ist allerdings der Moment, in dem die Mafia die Macht verliert, und um einen solchen Moment geht es ja beim aussichtslosen Kampf der Music and Film Industry Associations, abgekürzt lustigerweise MAFIA, gegen den dezentralen digitalen Datenaustausch, den man nur mit dem - historisch jedoch kaum belegten - Kampf der Pferdekutscher-Mafia gegen die Durchsetzung der Eisenbahn vergleichen kann, in dessen Verlauf es zu ähnlich verzweifelten Argumentationsversuchen (schnell zu reisen sei eine Gefahr für die Volkswirtschaft, oder es ginge doch bloss um die Interessen der Pferde) gekommen sein dürfte. "Gegen die Mafia" hiesse also, eine Reihe von Basisbanalitäten, zum Beispiel, dass man einen Film machen kann, ohne erst ein Drehbuch geschrieben zu haben, dass digitale Daten sich reproduzieren lassen, oder dass tote Autoren auf die Vererbung ihrer vermeintlichen geistigen Eigentumsrechte genauso wenig einen legitimen Anspruch haben wie auf das Fortbestehen ihrer Arbeitsverträge oder die posthume Ausübung ihres Wahlrechts, gegen die von kleinen Buchhaltern, mittleren Rechtsanwälten und grossen Geschäftsleuten zur Aufrechterhaltung von unhaltbaren Formen der Gewinnerzielung betriebenen Einschüchterungs- und Verblödungsapparate zu verteidigen. Ein willkommener Nebeneffekt wäre das Entstehen von mehr und von besserem Kino - denn dass die Leute Godards Histoire(s), die nicht nur die eine, tatsächliche Geschichte des Kinos zeigen, sondern auch ein paar derer, die wegen Nationalsozialismus, Realsozialismus, Marktwirtschaft oder Mafiaherrschaft keine Chance hatten, für besonders "schwierig" halten, liegt wahrscheinlich nur daran, dass sie bestimmte, im Grunde ziemlich einfache Beziehungen zwischen Bildern bei deren Betrachtung nachzuvollziehen sich anzugewöhnen nie die Gelegenheit hatten. GEMEINSAM. Gemeinsam sollte eigentlich erst recht einfach sein. Zumal wenn es um die Entmachtung der Filmindustrie durch dezentralen Datenaustausch geht, denn im Falle von Filesharing-Netzwerken ist der Moment, in dem die kollektive Dimension individuellen Handelns - als eine technisch vermittelte Form von Gemeinsamkeit - nicht nur ganz praktisch erfahrbar sondern eben auch als vorteilhaft erkenntlich wird, ja ziemlich offensichtlich. Und diese Erkenntnis wäre nicht ganz unwichtig in einem Zusammenhang - "Gegen die Mafia" - in dem romantische Vorstellungen von Einzelkämpfertum vorherrschen und intelligentere Organisationsformen eher selten in Erwägung gezogen werden. Und so ist unser Geburtstags-Programm nicht nur, als Filmvorführung, die Umkehrung eines Screenings von vor zwei Jahren, sondern eben auch, im Titel, die Umkehrung der Überschrift von einem Text von Klaus Theweleit (http://piratecinema.org/textz/klaus_theweleit_allein_gegen_die_mafia.html), auf den wir jetzt schon zum dritten Mal in drei Jahren verweisen, diesmal aber - mal davon abgesehen, dass es sich um einen Geburtstags-Text handelt (105 Jahre Kino, 100 Jahre Hitchcock, 70 Jahre Godard), der die ziemlich plausible Idee von Lewis Carroll, statt einmal im Jahr zum Geburtstag lieber täglich zum Nicht-Geburtstag zu gratulieren, enthält - wegen des sowohl im Titel als auch ganz am Schluss des Texts vorgeschlagenen Organisationsmodells für die Bekämpfung der Mafia, nämlich "allein" (zurückgehend auf den deutschen Titel einer italienischen Fernsehserie, die im Original aber vollkommen anders heisst) - was uns symptomatisch erscheint für eine Prä-BitTorrent-Mentalität im Umgang mit dem Kino, die nur die Verehrung einsamer Helden kennt, von einer Fortschrittsgeschichte des Kinos, die nicht vom vorhersehbaren Schicksal einzelner Autorensubjekte abhängig wäre, hingegen nicht den geringsten Begriff hat. Ausserdem ist "Allein gegen die Mafia" ja auch genau falsch beobachtet, unterschlägt nämlich, wie es unter der Herrschaft einer Mafia dann doch möglich sein kann, gegen sie zu arbeiten - nämlich nie allein, sondern immer nur in Kooperation mit einem Paten, der aus bestimmten, jeweils speziellen Gründen an einer Zusammenarbeit interessiert ist. Man könnte das, wenn es um die Geschichte des Kinos und die der Film-Mafia geht, sicher recht gut an Debord und Lebovici zeigen, aber die Histoire(s), also Godard/Gaumont, sind auch kein allzu schlechtes Beispiel. Ursprünglicher Auftraggeber der Histoire(s) war Canal Plus, die legten das Projekt nach zwei von acht Teilen auf Eis, Jahre später entschied sich Gaumont, die Finanzierung zu übernehmen. Und dann, wieder Jahre später, kam jemand von Gaumont bei Godard vorbei, um sich endlich mal anzusehen, was mit dem Geld eigentlich passiert. (Das muss in etwa zu der Zeit gewesen sein, als Godard den Film "2 x 50 Jahre französisches Kino" für das British Film Institute machen sollte, und die ihm die Klausel in den Vertrag geschrieben hatten, dass mehr als ein Drittel des Budgets für das Klären von Urheberrechten vorgesehen sei und von ihm selbst nicht angerührt werden dürfte - woraufhin Godard seinen Auftraggebern irgendwann mitteilte, aus rein ästhetischen Gründen würde er auf bestimmte Clips verzichten und das entsprechende Budget anderweitig verwenden, mit dem Ergebnis, dass in den "2 x 50 Jahren" immer dann, wenn eine Szene, die zu teuer war, hätte vorkommen sollen, bloss "No Copyright" eingeblendet wird.) Gaumont stellte fest, dass das, woran Godard arbeitete (diesmal nämlich hatte er tatsächlich eine fast unabsehbare Menge urheberrechtlich geschützter Filme zusammengetragen), sich nie und nimmer würde klären oder gar veröffentlichen lassen. Um sich dann jedoch dem Argument zu beugen, dass Gaumont schliesslich Gaumont ist, und jeder Kläger sich vor einer Klage überlegt, wen er verklagt und wen lieber nicht. (Bis hierhin ist das relativ gut gesichertes anekdotisches Halbwissen - was in den zehn bis zwölf folgenden Jahren welche Rechtsabteilungen beschäftigt hat, entzieht sich dagegen unserer Kenntnis. Die Qualität der 1999 von Gaumont veröffentlichten VHS-Version (Godard sagt, er sei entsetzt gewesen) deutet allerdings eher auf Probleme hin.) Was hier aber nur deutlich machen soll, dass selbst, und gerade, die wichtigsten Anti-Mafia-Projekte der letzten 50 Jahre französischen Kinos - sei es "Gegen das Kino" oder "Geschichte(n) des Kinos" - nicht allein, sondern auf der Basis eines jeweils ziemlich undurchsichtigen bis mysteriösen Pakts hergestellt worden sind, und nicht bedeutet, dass mittlerweile nicht noch andere, bessere Modelle für die Arbeit gegen die Mafia entwickelt worden sind. Und eben interessanterweise nicht so sehr individuelle Strategien für das Überleben in der Welt des Kinos, sondern technische Protokolle zur radikalen Neuverteilung von 100 Jahren Kinogeschichte. Nicht nur, damit nichts wegkommt, sondern vor allem, damit vielleicht irgendwann nochmal was dazukommt. Also eine gemeinsame (technisch gesagt: massiv parallele) Wette auf die dritten 50 Jahre des Kinos, die eigentlich nicht vorgesehen waren. Wenn uns dabei zuerst immer BitTorrent einfällt, dann heisst das nicht, dass die Entwicklung damit zu Ende wäre, doch die Bedeutung von BitTorrent - als Teil der Geschichte der technischen Reproduzierbarkeit und ihrer sozialen Folgen wie eben auch als Motor möglicher zukünftiger Geschichten des Kinos - wird im Allgemeinen noch erstaunlich unterschätzt. Wenn es stimmt, dass Fotografie Wahrheit und Kino Wahrheit 24 mal pro Sekunde ist, dann ist BitTorrent Wahrheit mit 24 Megabit pro Sekunde. Und bevor uns jemand die grandiose Übertreibung individuell verfügbarer Bandbreite unterstellt: 24 Megabit erreicht man nicht allein, sondern gemeinsam. -------------------------------------------------------------------------------- () >< pirate cinema berlin www.piratecinema.org <-- back |