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<-- back Sunday, August 5, 8 pm Pirate Cinema Berlin Tucholskystr 6, 2nd floor Brick (Rian Johnson) 2005, 110 min, 700 MB Englisch mit englischen Untertiteln + Vorfilm + Nachfilm + Bar -------------------------------------------------------------------------------- Mehr <1> als <2> einmal kam David Lynch vor, in letzter Zeit. Das ist uns auch aufgefallen. Vermutlich weil seit David Lynch im nordamerikanischen Kino nicht mehr so irre viel passiert ist, oder genauer: weil seit David Lynch in den USA niemand mehr Erfolg mit komplizierten Filmen hatte (was zwar immer schon selten, aber auch nie völlig unmöglich war; Hitchcock hat ungefähr sieben erfolgreiche komplizierte Filme hintereinander gemacht, Lynch vielleicht zweimal zwei), und sein Werk daher so etwas wie das letztkomplizierte populäre Bezugssystem ist, auf das man zurückkommen kann, die beste mögliche Welt, die sich als bekannt voraussetzen lässt. (Die Simpsons zählen nicht, es geht um Kino.) "Kompliziert" hiesse in diesem Zusammenhang erstmal nur, dass tatsächlich ein plausibles Universum erschaffen wird, und "plausibel" hiesse, dass ein solches Universum sowohl alle Anzeichen der wirklichen Welt - Strassen, Städte, deren Namen; Kapitalismus, Familie, Filmindustrie - als auch vollkommen phantastische Züge - eine Physik, eine Logik, ein Muster in den Beziehungen - trägt (The Matrix wäre dann noch passiert, seit David Lynch, und war so erfolgreich, dass es vier Jahre gedauert und 300 Millionen Dollar gekostet hat, alle Spuren von Wirklichkeit wieder zu vernichten) und dabei zugleich absolut gegenwärtig als auch seltsam - eher wenig als viel, und oft eher in die Vergangenheit als in die Zukunft - in der Zeit verschoben erscheint, in den USA meist in die 50er Jahre, oder aus den 50er Jahren in die Gegenwart, was aber nicht so viel mit den 50er Jahren der Welt oder der USA (das mythische Zeitalter, bevor alles kompliziert wurde), sondern mehr mit den 50er Jahren des Kinos (das Jahrzehnt, in dem fast alle erfolgreichen komplizierten Filme gemacht worden sind) zu tun hat. Und was das genaue Gegenteil von "Retro" ist, nämlich nicht das Ausstellen der blossen Verfügungsgewalt über erledigte Vergangenheiten (Filme, in denen alle Referenzen genau stimmen), sondern der Rückgriff auf die letztbeste noch mögliche Welt als Ziel oder Ausgangspunkt einer Verschiebung (Filme, in denen alle Referenzen genau nicht stimmen), einer Bewegung in der Zeit, die kein Trick des Kinos ist, sondern ein Trick der Wirklichkeit. Das jedenfalls wäre ein plausibles Universum. Seit 1944 heissen tote Mädchen Laura. Kompliziert aber vorstellbar. Diesmal kommt David Lynch vor, weil unsere Idee für Sonntag wäre, "Brick" (der zwar im letzten Jahr mal im Kino lief, aber nur so kurz, dass ihn viele, wir zumindest, verpasst haben) anzukündigen nicht etwa als "Teen Noir" - die irgendwie originelle, aber doch in die Irre (in Richtung "Retro") führende Genrebezeichnung, auf die sich die meisten Rezensenten einigen konnten - oder als den merkwürdigen Debütfilm, für den 500.000 Dollar aufzutreiben sieben Jahre gedauert hat - was unsere These, dass die Filmindustrie gegenwärtig eher mit dem Verhindern als mit dem Ermöglichen von Filmen beschäftigt ist, stützen würde, aber doch den völlig falschen Eindruck erwecken könnte, das Ergebnis sei vor allem auf prekäre Produktionsverhältnisse mitleidsvoll nachvollziehende Formen der Betrachtung angewiesen - sondern, um die Latte mal ein bisschen höher zu hängen, als BEST HIGH SCHOOL MURDER MYSTERY SINCE TWIN PEAKS. Und zwar deshalb, weil "Brick" nicht bloss eine Geschichte erzählt, sondern dabei ein ganzes Universum entwirft, eine zugleich bekannte und seltsame Welt, die in dem oben beschriebenen Sinne plausibel ist, ein vertrauter Ort, an dem etwas nicht stimmt, nicht nur auf der Ebene der Handlung (hier stimmt was nicht: Laura ist tot) etwas nicht stimmt, sondern auch auf der Ebene der Naturgesetze, der Logik und der (im weitesten Sinne) Gesellschaftsordnung etwas nicht stimmt - etwas, von dem wir allerdings wissen, im Grunde sogar ohne Marx oder Freud, dass es wirklich nicht stimmt. "Brick" kommt einem also sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen, von Twin Peaks her, bekannt vor (sobald man sich, nach ungefähr zehn Minuten, an der High School zurechtgefunden hat: Laura heisst Emily, Audrey heisst Laura, Donna heisst Kara, Bobby heisst Brad und James heisst Dode); interessanter als die Gemeinsamkeiten, also Momente, in denen genau dieselbe Sorte von Verschiebung stattfindet (zum Beispiel, leicht zu erkennen, obwohl beides nur einmal vorkommt, in der Familie und im Büro), sind aber die Unterschiede, also Momente, in denen genau dieselbe Sorte von Verschiebung in eine andere Richtung verläuft oder schon viel weiter fortgeschritten ist (zum Beispiel im Verhältnis der Generationen, wo, während sich bei David Lynch erwachsene Kinder und kindische Erwachsene unversöhnlich gegenüberstehen, bei Rian Johnson die kindischen Erwachsenen zu blossen Statisten regrediert sind und den nochmal eine Nummer erwachseneren Kindern die Geschicke der Welt weitgehend überlassen haben, was erstmal eine glücklichere Konstellation zu sein scheint, sich aber schnell als noch viel unheimlicher - und am Ende, wenn man den Body Count zugrundelegt, auch als noch viel gefährlicher - erweist). Ein paar Sachen sind in "Brick" aber auch einfach nur besser, vor allem das Ende, das sich genau zu überlegen Rian Johnson ja auch sieben Jahre Zeit hatte. Ungefähr einmal im Jahr ist ihm ein richtig guter Schnitt eingefallen (und einen Film mit sieben richtig guten Schnitten sieht man ja eigentlich nie), zwischendrin hat er so gut wie jede nicht unmittelbar dem Fortgang der Handlung dienende Silbe aus dem Script gestrichen (was auch sehr selten vorkommt) und nebenher auch noch ein ziemlich eigenartiges Vokabular erfunden, den Slang, der in "Brick" gesprochen wird, eine Kunstsprache, die manchmal etwas altertümlich und formell wirkt, dann aber auch wieder extrem frisch und fies. "Englisch mit englischen Untertiteln" ist also kein Scherz - ab und zu mitlesen zu können ist wirklich von Vorteil. Die andere Überlegung, die mit David Lynch (und der Frage, ob es möglich wäre, mit komplizierten Filmen Erfolg zu haben) zu tun hat, wäre, als Nachfilm den BEST AMERICAN MOVIE SINCE APPROXIMATELY BLUE VELVET zu zeigen, bei dem es sich, wenn "Brick" bloss "The Maltese Falcon" mit Teenagern wäre, einfach nur um "All That Heaven Allows" mit Schwulen und Schwarzen handeln würde, was in beiden Fällen zwar die einfachste Erklärung für eine Reihe merkwürdiger Eigenschaften von Zeit, Raum und Gesellschaft wäre, zugleich aber eben auch eine ziemlich armselige Vorstellung von Kino (davon, was Filme, die es schon gibt, zur Verfügung stellen, wie Filme, die es noch nicht gibt, damit umgehen, was genau passiert, wenn jemand dasselbe nochmal anders macht, oder etwas anderes nochmal genauso, und worin die Notwendigkeit einer solchen Vorgehensweise besteht). Als bestes High School Drama seit Twin Peaks und bester amerikanischer Film seit ungefähr Blue Velvet gesehen, was erstmal zwei ziemlich abwegige Vorschläge sein mögen, fallen einem vielleicht noch ein paar andere Ähnlichkeiten und Unterschiede auf, die sich weniger leicht auf eine gesicherte Kinogeschichte mappen lassen, die uns eigentlich gar nicht interessiert, dafür aber besser auf die Welt, in der wir leben. (Und Film Nummer zwei war ja ohnehin der einzige Grund, warum wir mit David Lynch hier überhaupt mal angfangen hatten.<3>) <1> http://piratecinema.org/screenings/20070715 <2> http://piratecinema.org/screenings/20070617 <3> http://piratecinema.org/screenings/20041017 -------------------------------------------------------------------------------- () >< pirate cinema berlin www.piratecinema.org <-- back |